Infektion und Institution
Zur Wissenschaftsgeschichte des Robert-Koch-Instituts im Nationalsozialismus. Hrsg. von Marion Hulverscheidt und Anja Laukötter. Mit einem Vorwort von Volker Hess. Zwölf Beiträge, darunter zwei in englischer Sprache, betrachten das Robert Koch-Institut im Netzwerk anderer nationaler und ausländischer biopolitischer Einrichtungen während des NS-Regimes. Der Sammelband ist die zweite zentrale Publikation eines zweijährigen Forschungsprojektes. Er ergänzt komplementär die bereits im Vorjahr von Annette Hinz-Wessels vorgelegte monographische Geschichte des RKI im Nationalsozialismus. Während dort eine bilanzierende Darstellung eine Gesamtschau dessen zu geben versucht wird, fokussiert der hiesige Band die offenen Fragen und Forschungsdesiderate. Ziel war es, die Institution in ihren multiplen Ausformungen darzustellen, um die Funktionsweise und das "Denken" dieser Einrichtung im nationalsozialistischen System besser zu verstehen. Die Auswahl der Beiträgen steckt die aktuelle Forschungsdebatte zur Verschränkung einer institutionellen Organisation von Wissenschaft, Gesundheitspolitik und Ideologie ab. Wenn der "Fall des Robert Koch-Instituts" hierbei in Bezug zu vergleichbaren Einrichtungen wie dem französischen Institut Pasteur oder dem dänischen Statens Serums Institut gestellt wird, eröffnet der Band einen ersten Weg zu einer breiteren "entangled history". Aus dem Inhalt: Silvia Berger: Abschied vom Krieg? Latente Infektionen und neue biologische Modelle der Wirt-Parasit-Interaktionen in der Bakteriologie der Weimarer Republik. - Axel C. Hüntelmann: Biopolitische Netzwerke. Die interpersonellen und interinstitutionellen Verbindungen zwischen dem Institut für Infektionskrankheiten und dem Reichsgesundheitsamt vor 1935. - Annette Hinz-Wessels: Das RKI unter der NS-Diktatur. Personelle, administrative und inhaltliche Umgestaltung zwischen 1933 und 1945. - Thomas Beddies: Zur Rolle des Robert Koch-Instituts bei der Einführung einer obligatorischen Tuberkuloseschutzimpfung im Dritten Reich. - Anne Cottebrune: Blut und "Rasse". Serologische Forschungen im Umfeld des Robert Koch-Instituts. - Anja Laukötter: Wie aus den Pocken Karies wurde. Die Forschung von Heinrich A. Gins am Robert Koch-Institut. - Marion Hulverscheidt: Die Beteiligung von Mitarbeitern des Robert Koch-Instituts an Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Tropenmedizinische Menschenversuche im Nationalsozialismus. - Alexander Neumann: Das Robert Koch-Institut und die Militärärztliche Akademie. Eine Skizze. - Henrik Tjörnelund: The Copenhagen vaccine. The collaboration of the State Serum Institute and the Robert Koch Institute 1941-44. - Gabriele Moser: Peststämme aus dem Pariser Pasteur-Institut. Forschung und Entwicklung eines deutschen Pestimpfstoffes durch das Robert Koch-Institut im NS-besetzten Europa. - Paul J. Weindling: Virologist and National Socialist. The Extraordinary Career of Eugen Haagen. - Christian Bonah/Christoph Gradmann: Das Robert Koch-Institut als Institution zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Internationale Beziehungen, verwaltete Wissenschaft und NS-System. Ein Kommentar. 270 Seiten mit vier Abb., broschiert (Wallstein Verlag 2009)