Göderle, Wolfgang: Zensus und Ethnizität
Zur Herstellung von Wissen über soziale Wirklichkeiten im Habsburgerreich zwischen 1848 und 1910. Die Studie befasst sich über einen Untersuchungszeitraum von einem knappen Dreivierteljahrhundert mit der Rolle des Zensus bei der Konstruktion von Nation, »Identität« und Ethnizität. Die Studie ordnet die Untersuchung der Volkszählungen und das durch sie hervorgebrachte ethnische Wissen konsequent in einen imperialgeschichtlichen Deutungsrahmen ein. Der Zensus wird damit nicht mehr ausschließlich als Nationalisierungsdispositiv verstanden, sondern vor einem breiteren Hintergrund interpretiert: Er wird als imperiales Instrument, als wissenschaftliche Praxis und als Verwaltungstätigkeit gleichsam aus drei verschiedenen Perspektiven angeleuchtet. Dabei werden die Herstellung und die Dissemination von Wissen ebenso untersucht wie die diskursiven Stränge, die diese beiden Vorgänge begleiten und determinieren. - Die Volkszählungen im späten Habsburgerreich waren eine zentrale Praxis der Wissensherstellung und Durchethnisierung. Was wurde dabei genau gezählt? Welche kollektiven Identitätsvorstellungen sollten daraus hervorgehen? Welchen Beitrag leisteten wissenschaftliche Weltbilder und Idealvorstellungen von Objektivität? Wie wurde das erzeugte Wissen in modernen Gesellschaften verbreitet und wirksam? Die Studie ist als Wissensgeschichte an der Schnittstelle von Verwaltungs-, Wissenschafts-, und Imperialgeschichte konzipiert. Mit der Konzentration auf Wissenschaft, Administration und mediale Repräsentation kommt Wolfgang Göderle zu überraschenden Ergebnissen: Weder waren staatliche Institutionen völlig frei in ihrem Handeln, noch waren Bürgerinnen und Bürger passive Subjekte im Zensus. Die moderne Volkszählung entwickelte sich mit den wissenschaftlichen Idealen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihr reibungsloser Ablauf konnte nur gewährleistet werden, wenn hohe Anforderungen erfüllt waren. Insbesondere musste dazu Raum territorial gedacht und administrativ unter Kontrolle gebracht werden. Die Herstellung dieser Vorbedingung wirkt bis in die Gegenwart nach. 331 Seiten mit 11 Abb. und Tabellen, gebunden (Wallstein Verlag 2016) leichte Lagerspuren