Ludi, Regula: Die Fabrikation des Verbrechens
Zur Geschichte der modernen Kriminalpolitik 1750-1850. Die Autorin verfolgt, wie sich das kriminalpolitische Leitmotiv der (spätaufklärerischen) Utopie einer verbrechensfreien Gesellschaft zum obsessiven Kampf gegen Bedrohungsszenarien und "Demoralisierung" entwickelt, und zeigt, daß gerade dem Bestreben, die Effizienz der Verbrechensbekämpfung zu erhöhen, ein immenses kriminalisierendes Potential innewohnt. - Der spätaufklärerische Diskurs über Sinn, Zweck und Funktion der Strafe basiert auf der Vorstellung, daß das Verbrechen nicht primär dem bösen Willen eines Menschen entspringe, sondern durch verschiedene Faktoren verursacht sei. Prävention lautet das Schlagwort des neues Programms, das den Anspruch erhebt, mit prophylaktischen Mitteln das Verbrechen eindämmen, wenn nicht ausrotten zu können. Um 1850 hingegen verläuft die Entwicklung in eine andere Richtung: Das Verbrechen wird der bürgerlichen Gesellschaft zur Obsession. Kulturpessimistische Bedrohungsszenarien interpretieren den Anstieg der Kriminalitätsraten als Symptom eines fortschreitenden Prozesses der "Demoralisierung". Was führt zu dieser Malaise? Welche Rolle spielt Kriminalpolitik im sozialen Verlustgeschäft der Moderne? Diesen Fragen geht die Autorin nach, indem sie bei der straftheoretischen Neuorientierung des 18. Jahrhunderts ansetzt und die Implementierung neuer Programme unter verschiedenen politischen Bedingungen im frühen 19. Jahrhundert verfolgt. Durch systematische Auswertung von Gerichtsquellen kann sie zeigen, daß gerade dem Bestreben, die Effizienz der Verbrechensbekämpfung zu erhöhen und eine (nahezu) verbrechensfreie Gesellschaft zu schaffen, ein immenses kriminalisierendes Potential innewohnt. Mit bürokratischem Perfektionismus erzeugt der Strafapparat seine eigene Klientel und erhält durch deren ständige Vermehrung die Begründung für einen weiteren Ausbau seiner Kapazitäten. Die Krisen dieses Verfahrens werden indessen nie als Versagen der Kriminalpolitik wahrgenommen, sondern sind stets Anlaß zu weiteren effizienzsteigernden Reformen. 612 Seiten mit 5 Abb., gebunden (Frühneuzeit-Forschungen; Band 5/bibliotheca academica Verlag/Wallstein Verlag 1999) leichte Lagerspuren